Die Elemente der Gruppe 16 des Periodensystems werden als Chalkogene bezeichnet. Dazu gehören Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur und Polonium, und Die Gruppe wird nach dem ersten Element auch als Sauerstoff-Gruppe bezeichnet. In diesem Spektrum ist eine deutliche Veränderung der chemischen Eigenschaften mit zunehmender Atommasse zu beobachten. In der Folge sind Sauerstoff und Schwefel typische Elemente mit dem Charakter von Nichtmetallen, Selen und Tellur sind Halbmetalle, die sich durch ihre Übergangseigenschaften auszeichnen, und Polonium, das ganz unten in der Gruppe steht, hat metallische Eigenschaften. Ein charakteristisches Merkmal der Chalkogene ist ihre Fähigkeit, in verschiedenen molekularen Formen und in allen drei Aggregatzuständen zu existieren. Sie treten nämlich in verschiedenen allotropen Varianten auf, die sich in der Anzahl der Atome und der Struktur des räumlichen Gitters unterscheiden.
Physikalische Eigenschaften von Chalkogenen
Die Atommasse steigt mit zunehmender Periode des Elements in der Gruppe. Die kleinste – 16u – kennzeichnet Sauerstoff (O), gefolgt von 32u, 104u, 198u und 209u, den Atommassen von Schwefel (S), Selen (Se), Tellur (Te) und Polonium (Po). Auch der Atomradius nimmt mit zunehmender Periode zu, so dass Sauerstoff mit 73pm den kleinsten Radius aufweist. Ein weiteres Merkmal der Chalkogene ist ihr Ionenradius, der ebenfalls mit zunehmender Periode zunimmt. Die Werte für diese Gruppe von Elementen beginnen bei 140pm für Sauerstoff und enden bei 221pm für Tellur.
Mit zunehmender Periodenzahl in der Gruppe nehmen jedoch die Eigenschaften der Elemente wie Ionisierungsenergie und Elektronegativität ab. Die höchste Ionisierungsenergie von 1314 [kJ·mol-1] gilt für das Sauerstoffatom, für Schwefel beträgt sie 999,6 [kJ·mol-1], für Selen 940,9 [kJ·mol-1], für Tellur 869,3 [kJ·mol-1] und für Polonium 812 [kJ·mol-1]. Die für die einzelnen Elemente ermittelten Elektronegativitäten betragen nacheinander:
- Sauerstoff – 3,5,
- Schwefel – 2,44,
- Selen – 2,48
- Tellur – 2,01.
Der Schmelz- und der Siedepunkt steigen meist mit zunehmender Periode.
Element | Schmelzpunkt [K] | Siedepunkt [K] |
Sauerstoff | 54,36 | 90,18 |
Schwefel | 388,36 | 717,80 |
Selen | 494,00 | 958,00 |
Tellur | 722,70 | 1261,00 |
Polonium | 527,00 | 1235,00 |
Tabelle 1. Auflistung der Schmelz- und Siedepunktwerte der Elemente der Chalkogengruppe.
Elektronenkonfiguration von Chalkogenen
Die für diese Gruppe von Elementen charakteristische Konfiguration der Valenzelektronen ist ns2p4. Darüber hinaus neigen die Chalkogene dazu, zwei Elektronen aufzunehmen und damit in der Praxis die Konfiguration des nächstgelegenen Edelgases anzunehmen, wobei sich ihre Oxidationsstufe auf -II ändert. Solche Übergänge können auf verschiedene Weise realisiert werden:
- Besteht während der Verbindung der Elemente ein großer Unterschied in der Elektronegativität, kann das Chalkogen-Atom zwei Elektronen aufnehmen und ein Anion vom Typ X2- Mit den meisten Metallen bildet der Sauerstoff, das elektronegativste Element der Gruppe, ionische Bindungen, die zur Bildung solcher Anionen vom Typ O2- führen.
- Es ist möglich, ein Elektron aufzunehmen und eine kovalente Bindung zu bilden. Dies geschieht z.B. bei Hydroxiden, wenn das Hydroxid-Ion OH– gebildet wird, oder bei Hydrosulfiden als Hydrosulfid-Ion SH–. Solche Ionen zeichnen sich durch ihre unterschiedliche Lebensdauer aus, die in der Reihe vom Sauerstoff zum Selen abnimmt.
- Bildung von zwei kovalenten Bindungen, z.B. bei Hydriden und Halogeniden. Es gibt auch Bindungen, die gleiche Chalkogen-Atome enthalten, wie z.B. in Wasserstoffperoxid und Wasserstoffdisulfid. Sauerstoff neigt dazu, sich zu zwei oder drei Atomen zu verbinden, während Schwefel und Selen durch Verkettung mehratomige Ketten bilden können. Doppelbindungen werden am häufigsten von Sauerstoff und Schwefel gebildet, was z. B. in Harnstoff und Thioharnstoff der Fall ist. Darüber hinaus können Schwefel und die folgenden Elemente der Chalkogengruppe im Gegensatz zu Sauerstoff, der immer in der Oxidationsstufe -II vorliegt, mehr als zwei und sogar bis zu sechs kovalente Bindungen eingehen. Dies hat zur Folge, dass auch auf den d-Orbitalen der Valenzschale Elektronen vorhanden sind, und ihre Oxidationsstufe kann IV oder VI sein.
Allotrope Varianten des Sauerstoffs
Sauerstoff tritt in zwei allotropen Varianten auf – als gewöhnlicher zweiatomiger Sauerstoff und als Ozon mit dreiatomigen Molekülen. Zweiatomige Sauerstoffmoleküle sind paramagnetisch und enthalten zwei ungepaarte Elektronen auf antibindenden π*-Orbitalen. Es ist ein Triplett-Zustand, da seine Multiplizität 3 beträgt. Dieser Sauerstoff tritt unter normalen Bedingungen als farbloses Gas auf, das in dicken Schichten sowie im flüssigen und festen Zustand leicht blau ist. Der Geruch ist nicht wahrnehmbar und das Gewicht ist etwas höher als das der Luft. Neben dem Basisisotop 16O gibt es zwei weitere Isotope, nämlich 17O und 18O, die in geringen Mengen im natürlichen Sauerstoff vorkommen. Infolge einer elektrischen Entladung geht dieser Sauerstoff O2, der sich im Grundzustand des Tripletts befindet, leicht in einen von zwei angeregten Zuständen über. Beide sind reich an Energie der Singulett-Zustände, aber einer – der untere – hat ein einzelnes antibindendes π*-Orbital mit zwei im Spin entgegengesetzten Elektronen. Im höher angeregten Zustand hingegen befindet sich auf jedem der π*-Orbitale ein Elektron mit antiparallel gerichteten Spins. Die Anregung erfolgt bei der Absorption des entsprechenden Quants an Lichtenergie und durch Energieübertragung durch die angeregten Moleküle bestimmter Farbstoffe, z.B. Chlorophyll und Methylenblau. Solcher Sauerstoff im Singulett-Zustand ist ein starkes Oxidationsmittel.
Allotrope Varianten von Schwefel
Je nach den Bedingungen bildet elementarer Schwefel Moleküle mit einer Ring- oder Kettenstruktur. In festem und flüssigem Zustand gibt es viele Variationen davon. Bei Raumtemperatur ist die feste Version der rhombische Schwefel, auch bekannt als Alpha-Schwefel, der eine hellgelbe Farbe hat. Er besteht aus achtatomigen Molekülen, die in einem Zickzackring angeordnet sind. Beim Erhitzen auf 368,8 K verwandelt er sich in monoklinen Schwefel. Diese Variante wird als Beta-Schwefel bezeichnet, der sich von der Alpha-Variante durch die Anordnung der achtatomigen S8-Moleküle unterscheidet. Monokliner Schwefel schmilzt bei einer Temperatur von 392,2 K und wird zu einer blassgelben, beweglichen Flüssigkeit, die auf molekularer Ebene durch ein Gleichgewicht zwischen Kettenschwefel und Cyclooctaschwefel gekennzeichnet ist. Wenn der Anteil offener Ketten im Verhältnis zu geschlossenen Ketten zunimmt, sinkt die Erstarrungstemperatur der Flüssigkeit. Wird die Flüssigkeit weiter erhitzt, kommt es zum Brechen der Ketten und zur Verkettung, d.h. zur Verbindung zu langen Ketten. Sie enthalten bis zu 105 Einheiten S8. Bei einer Temperatur von 717,8 K siedet der Schwefel und die orange-gelben Dämpfe, die S8-Moleküle sind, dissoziieren in Moleküle mit immer weniger Atomen. Bei 1200 K enthält gasförmiger Schwefel hauptsächlich zweiatomige Moleküle. Die langsame Kondensation der Schwefeldämpfe in Verbindung mit der Abkühlung auf Raumtemperatur führt dagegen zur Bildung der so genannten Schwefelblüte, einem staubigen, hellgelben Produkt. Eine schnelle Abkühlung der Dämpfe auf eine Temperatur von einigen wenigen bis einigen zehn Kelvin führt zur Bildung von Produkten unterschiedlicher Farbe: violett, braun, grün oder gelb, je nach Abkühlungsmethode.
Gewinnung von Chalkogenen
Sauerstoff
Im industriellen Maßstab sind die Rohstoffe, die zur Herstellung von Sauerstoff benötigt werden, Luft und Wasser. Zur Gewinnung von Sauerstoff wird die Luft kondensiert und anschließend das gewünschte Element durch fraktionierte Destillation bei einem Druck von etwa 0,3 MPa gewonnen. Das so gewonnene Produkt enthält in der Regel etwa 3% Argon. Der durch Elektrolyse von Wasser gewonnene Sauerstoff hat dagegen einen sehr hohen Reinheitsgrad. Dies ist jedoch eine sehr teure Methode, die nur in einigen Ländern angewandt wird. Für Laborzwecke werden in der Regel kleine Mengen Sauerstoff durch thermische Zersetzung von Verbindungen wie Kaliummanganat (VII) oder Kaliumchlorat (V) in Gegenwart von reinem Mangan(IV)-oxid als Katalysator hergestellt.
Schwefel
Die grundlegende Methode zur Gewinnung von elementarem Schwefel ist die Raffination von nativem Schwefel. Bei dem Frasch-Verfahren, das vor allem in Texas und Louisiana angewandt wird, wird flüssiger Schwefel, der mit überhitztem Dampf geschmolzen wurde, mit Druckluft an die Oberfläche befördert. Diese Technologie ermöglicht die Gewinnung eines äußerst reinen Produkts, das nicht mehr raffiniert werden muss. In Polen wird diese Methode in der Region Tarnobrzeg angewandt. Schwefel fällt auch häufig als Nebenprodukt bei der Reinigung von Industriegasen an, z.B. bei der Reinigung von Erdgas von dem darin enthaltenen Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid. Eine solche Beseitigung von Schwefelwasserstoff erfolgt unter anderem unter Anwendung des Claus-Prozesses, d.h. der katalytischen Oxidation von Schwefelwasserstoff zu Schwefel und Wasser.
Selen
Dieses Element ist eine häufige Verunreinigung von Sulfiderzen und Schwefel vulkanischen Ursprungs. Bei der thermischen Verarbeitung dieser Rohstoffe wandelt es sich in Selendioxid um, das als Feststoff im Staub der Entstaubungsanlagen aufgesammelt wird. Er ist somit das Rohmaterial, aus dem reines Selen gewonnen werden kann. Dazu wird er mit einer Kaliumcyanidlösung behandelt, die daraus resultierende Lösung abgeseiht und das Element Se unter Einwirkung von Salzsäure ausgefällt. Eine andere, in der Praxis häufiger angewandte Methode besteht darin, Selen aus Anodenschlämmen zu gewinnen, die bei der elektrolytischen Raffination von Kupfer anfallen.
Tellur
In den bereits erwähnten Anodenschlämmen sind auch einige Mengen Tellur enthalten. Daher ist ihre Verarbeitung die wichtigste Methode zur Herstellung von Tellur.
Verwendung von Chalkogenen
Sauerstoff hat eine breite Palette von Anwendungen. In der Industrie wird er in zunehmendem Maße in der Metallurgie verwendet, z.B. beim Bessemer-Verfahren in Siemens-Martin-Öfen. Auch beim Schweißen von Metallen in der Acetylen-Sauerstoff-Flamme werden erhebliche Mengen an Sauerstoff verbraucht. Im Bergbau wird mit flüssigem Sauerstoff gesättigte Aktivkohle als sicherer Sprengstoff verwendet. In der Medizin wird sie bei Atembeschwerden eingesetzt. Seine andere Form, das Ozon, wird hingegen als Bakterizid zur Desinfizierung von Wasser eingesetzt.
Schwefel ist einer der wichtigsten Rohstoffe für die Herstellung von Schwefeldioxid, das dann in Schwefelsäure umgewandelt wird, die als Desinfektions- und Bleichmittel verwendet wird. Außerdem wird Schwefel in Prozessen wie der Vulkanisierung von Kautschuk und der Herstellung bestimmter organischer Farbstoffe, darunter Kohlenstoffdisulfid und Ultramarin, verwendet. Er ist auch einer der Rohstoffe für die Herstellung von Schwarzpulver, Feuerwerk und Streichhölzern. Schwefelpräparate werden auch in der Medizin verwendet – in Formulierungen zur Unterstützung der Behandlung von Hautkrankheiten und in der Landwirtschaft in Präparaten zur Bekämpfung von Pflanzenparasiten.
Selen wird bei der Herstellung von Fotozellen und Gleichrichtern benötigt. Bei der Glasverarbeitung wird es als rubinroter Farbstoff verwendet und kommt auch in der Xerographie zum Einsatz.
Tellur als Zusatz zu Bleierzeugnissen verbessert deren mechanische Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit. Es ist auch ein Substrat für die Herstellung wichtiger Halbleitermaterialien, die aus Telluriden von Schwermetallen wie Bismut, Antimon, Blei und Cadmium bestehen.
Polonium wird hauptsächlich als Strahlungsquelle für die Forschung der Alpha-Strahlung und als Wärmequelle in Weltraumgeräten verwendet.